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Criptique Crossing Boundaries: Be/Hinderung zwischen Aktivismus und Theorie

Bericht von Hanna Hacker und Ulrike Koch zum Symposium am 29. und 30. November 2013 in Wien

An einem Anfang stand die Idee, ein oder zwei Programmpunkte der Konferenz Opens internal link in current windowDe-colonizing Disability Theory I: Cripping Development, die für September 2013 in Prag unter der Ägide des Opens internal link in current windowReferats Genderforschung der Universität Wien vorbereitet wurden, zeitnah auch nach Wien zu holen und als ganz kleine [sic!] Vortrags- oder Diskussionsveranstaltung desOpens external link in new window Instituts für Internationale Entwicklung der Uni Wien auszurichten. Das war eine Idee zwischen Isa Garde und mir (Hanna Hacker). Dann erweiterten wir: Aljoscha Bökle, Isa und ich dachten nunmehr an einen (kleinen [sic!]) DIY-Workshop unter Einbeziehung von Dis/Ability-Aktivist_innen und mit einem Schwerpunkt auf der „internationalen“ Perspektive. Die Erinnerung an die Gespräche darüber an warmen Frühsommermittagen auf der Dachterrasse des Hauses, in dem unsere Institutsbüros untergebracht sind, bleibt in Sonne getaucht und in meine Begeisterung darüber, meine eigene Erfahrung mit Dis/Ability und ihrer Rezeption direkt in meinem Arbeitsumfeld so produktiv umsetzen zu können. Schließlich intensivierte sich die Verbindung mit den Gender Studies, insbesondere mit Kathi Wiedlack, die schnell ganz viel Organisations- und Konzeptarbeit ganz unprätentiös auf sich nahm, und die Organisationsgruppe entfaltete eine ganz neue Dynamik.

Organisiert wurde das Symposium schließlich von Aljoscha Bökle, Anne Marie Faisst, Isabelle Garde, Hanna Hacker, Ulrike Koch und Katharina Wiedlack. Wenn in diesem Bericht auf ein "Wir" verwiesen wird, sind damit die genannten Personen gemeint, die sich als Organisationskollektiv zusammengefunden hatten. Wir alle waren (damals) an der Universität Wien angesiedelt, teilweise in Anstellungsverhältnissen, teilweise als Studierende. Viele von uns bewegen sich in queeren und antirassistischen aktivistischen Kontexten; wir waren zum Zeitpunkt der Veranstaltung allerdings alle nicht innerhalb von Disability/Crip-Aktivismus organisiert. In unseren Diskussionen war es schwer, angesichts unserer unterschiedlichen Erfahrungen eine gemeinsame Positionierung bezüglich „Behinderung“ zu finden – einige von uns bezeichnen sich als „nicht-behindert“, mindestens eine Person identifiziert sich als „behindert“, für andere ist es schwierig, sich überhaupt zu positionieren.

Als Veranstaltungsort wählten wir „Opens external link in new windowPlanet 10“, einen Projektort, der sich als als queerer, partizipativer und feministischer Arbeits-, Veranstaltungs- und Wohnraum versteht. Weder in der Nähe der Universität noch nahe am Stadtzentrum gelegen, eröffnete er die Möglichkeit (und ein Stück weit die Notwendigkeit), abseits des akademischen Mainstreams zu agieren.

Wesentlich war für uns, die Veranstaltung so barrierefrei wie möglich zu gestalten. Der „Planet 10“ bot uns treppenfrei erreichbare Räumlichkeiten und rollstuhlgängige Toiletten. Das gesamte Symposium wurde von den Dolmetscherinnen Patricia Brück, Valerie Clarke, Elke Schaumberger und Sabine Zeller („Opens external link in new windowDolmetschServicePlus“) in Österreichische Gebärdensprache übersetzt. Um das Catering kümmerte sich das kollektiv geführte Lokal „Opens external link in new windowGagarin“.

Global denken, lokal performen: Vortrag und DanceAbility am Freitag (29.11.2013)

Für den ersten Abend des Symposiums war zunächst der Soziologe Shaun Grech mit einem Vortrag zu „Global Disability Studies“ eingeladen. Shaun Grech arbeitet am „Research Institute for Health and Social Change“ der Manchester Metropolitan University. Er setzt sich seit Jahren mit kritischen, an Fragen globaler Ungleichheit orientierten Disability-Analysen auseinander und engagiert sich in seiner Feldforschung im Kontext extremer Armut in Guatemala auch als Aktivist.

Sein Vortrag Disability, development and the exportation of intention: is a global disability studies really possible? konzentrierte sich auf vor allem auf eine Kritik an hegemonialer (und) westlicher Wissensproduktion „über“ Abilities und Disabilities im so genannten, oft ja als ganz vereinheitlicht gedachten globalen Süden. Seinen Ansatz der Critical Global Disability Studies bezeichnete er als „not a project of theoretical abstraction, but one of reflexive praxis“. Auch Disability Studies seien gehalten, die immense Relevanz von Kolonialgeschichte zu reflektieren und sich immer wieder zu verdeutlichen, inwiefern sowohl Forschung als auch „betroffene“ Personen in einem neokolonialistischen Handlungs- und Forschungsfeld situiert sind. Neoliberale Ökonomie und entwicklungspolitische Strategien etwa der Weltbank re-produzieren Armut, und zugleich setzen Wissenschaft und mediale Repräsentationen die Figur „Disability“ im („armen“) „globalen Süden“ in einer Weise als homogen, wie sie tatsächlicher Vielschichtigkeit, Widersprüchlichkeit, Hybridität und/oder transkultureller Formation von Disabilities (auch und gerade im „Süden“) keine Rechnung trägt. Shaun Grech plädierte für eine reflexive Forschungsethik und für eine stete Arbeit am wie auch immer schwierigen Prozess einer Dekolonisierung von Forschung.

Zwei Diplomandinnen der Internationalen Entwicklung, die sich in ihrer Abschlussarbeit detailliert mit dem Themenfeld Disabilities und Entwicklungskritik befasst haben, fungierten anschließend als Kommentatorinnen zum Vortrag und präsentierten ihre Fragen und Ergänzungen zu Shaun Grechs Ausführungen.

Clara Schmidl griff vor dem Hintergrund ihrer eigenen Feldforschung in Mosambik einige der Probleme heraus, vor denen die noch so sehr um Respekt, Schadensvermeidung und historisch-kritische Reflexion bemühte Forscherin realiter stehen kann. In der konkreten Forschungsbegegnung vermöchten Missverständnisse und Missdeutungen sich zu vervielfachen. Sie argumentierte dafür, möglichst offen zu bleiben für heterogene und kontextabhängige Bedeutungen des Begriffs „Disability“. Erst noch weiterzudiskutieren sei, inwiefern der Begriff „global disability“ tatsächlich sinnvoll ist.

Isabelle Garde legte in ihrer Respondenz dar, inwiefern vorfindliche Forschungsansätze im Bereich disabilities und internationale Ungleichheiten sich in vier voneinander unterscheidbare Zugänge teilen ließen: der kulturanthropologische Zugang, der vor allem „lokale Verständnisse“ von „Behinderung“ fokussiert; der materialistisch-kapitalismuskritische Ansatz, der auf Auswirkungen historisch gewachsener Macht- und Ausbeutungsverhältnisse auf Personen mit Behinderungen abstellt; postkoloniale Kritik, die vor allem die Bedeutung epistemischer Gewalt in den eurozentrischen Disability Studies in den Blick nimmt – und schließlich der Ansatz der Crip Theory, der alle wirkmächtigen Kategorien, um die es im Feld der Dis/Ability geht, ein Stück weit umwirft und sich vor allem auch skeptisch gegenüber Identitätspolitiken zeigt.

Der Symposiumsauftakt sollte nicht rein „akademisch“, nicht rein „diskursiv“ bleiben: die Wiener Gruppe „Opens external link in new windowDanceAbility“ schließlich – Motto: „wer atmen kann, kann tanzen“ – zeigte eine grandiose Performance mit Elementen aus Contemporary und Kontaktimprovisation mit und ohne Rollis. Orchestriert von fantastischer Live-Musik am Keyboard zeigten die Tänzer_innen präzise Begegnungen der Körper, minimalistische wie raumgreifende Kommunikation in Bewegung, beeindruckende Improvisation, anspruchsvolle Routine – und die bewundernswerte Bereitschaft, den alles andere als körperfreundlichen Betonboden des Veranstaltungsraumes hautnah mit einzubeziehen.

Aktivismen erarbeiten: Plenum und Workshops am Samstag (30.11.2013)

Das Symposium wollte verbinden und startete daher in den zweiten Tag mit einem Plenum, bei dem vor allem Aktivist_innen Raum zur Vorstellung ihrer Projekte geboten wurde. Ich (Ulli Koch) führte in unsere Zielsetzungen der Veranstaltung genauer ein; dann präsentierten die Gruppen und auch die anwesenden Einzelpersonen ihre Ansätze zum Themenfeld Dis/Abilities. Bezug genommen wurde dabei auf Quer- und Leitfragen, die wir als Organisationsteam vorgegeben hatten. So erklärte beispielsweise Andi Weiland den politischen Anspruch hinter dem in Deutschland ansässigen Projekt „Opens external link in new windowleidmedien.de“. „Leidmedien.de“ wendet sich als Website vor allem an Journalist_innen und Berichterstatter_innen, die sich mit dem Themenfeld „Behinderung“ befassen wollen oder müssen. Antje Barten und Ly Antwerpen, Mitarbeiterinnen des Bündnisses zur ersten Opens external link in new windowDisability & Mad Pride Parade in Berlin, berichteten über die stattgefundene Demonstration vorrangig in der Perspektive ihrer Kooperations- und Allianzenpolitik. Als Vertreter von „Opens external link in new windowFreakRadio“ nahm Christoph Dirnbacher am Plenum teil; „Freak Radio“ ist in seiner wöchentlichen Sendung auf „Ö 1“ um Berichterstattung „auf Augenhöhe“ bemüht. Die Performancekünstlerin Vera Rebl ( „DanceAbility“ und „Opens external link in new windowTheater der Unterdrückten“) reflektierte besonders zur Bedeutung von Aktionen im öffentlichen Raum. Warum Menschen mit Behinderung eher nicht in linken beziehungsweise linksradikalen Zusammenhängen zu finden sind, thematisierte Anne Marie Faisst, Referentin des Opens external link in new windowReferats für Barrierefreiheit der Universität Wien.

Weitergearbeitet wurde in Form von (insgesamt vier) Workshops. Jeweils einen Workshop boten dabei zwei Initiativen an, die sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung des Opens internal link in current windowMasterstudienganges Gender Studies an der Uni Wien gebildet hatten:

Doris Arztmann, Nina Ebert und Ilona Toller luden zu All-Inclusive Holidays in Criptopia. Ausgangs- und Bezugspunkt der Diskussionen bildete das Remake einer 1910 vom US-amerikanischen Anarchisten Ben Reitman entworfenen Landkarte, eine Visualisierung der Ein- und Ausschlusslinien, der marginalisierten und normalisierten Communities und der Bewegungsmöglichkeiten zwischen ihnen. Wo wogt der „Ocean of Despair“, was hat es mit dem Ort „Mongolia“ am Rande der „Race Prejudice Isle“ auf sich? Wie kommt man von „Port Injustice“ zu den „Poverty Islands“? Der Workshop warf Fragen nach intersektionellen Benachteiligungen und wünschbaren Bündnisformen, nach sozialen Utopien und den Fallstricken ihrer Konkretion auf.

Under XXX Eyes titelte der Workshop von Tina Füchselbauer, Pia Klüver, Alexandra König und Aurelia Wolf, der sich mit Sexualassistenz für Menschen mit Behinderungen befasste. Problematisiert werden sollte ganz grundsätzlich, wie „Körper“ und „Sexualitäten“ im Kontext von Sexualbegleitung begriffen werden. Die Workshopteilnehmer_innen setzten sich mit Passagen aus einem Interview mit einer Sexualassistentin auseinander: Wie ist hier die Rede von Körpern, Sexualitäten, Wahrnehmungen, Abgrenzungen? Was bedeutet dies für die (Selbst-)Konstruktionen und Strategien von Subjekten im Feld der Dis/Abilities?

Die Leiter_innen der beiden weiteren Workshops stellten Initiativen in Deutschland zur Diskussion:

Andi Weiland präsentierte ausführlicher das Projekt „leidmedien.de“. Dieses Projekt, entstanden aus dem Verein „Sozialhelden“ und gegründet von Raul Krauthausen, referiert auf die Figur der „Alltagsheld_innen“, die an einer besseren Zukunft und an der Veränderung der Gesellschaft arbeiten. „leidmedien.de“ begann mit einer Suche nach treppenfrei zugänglichen Räumen. Daraus entwickelte sich die Idee einer Internetplattform in Gestalt einer Map, die Räume und ihrer Zugänglichkeit (in einem Ampelsystem) anzeigt: „wheelmap.org“ funktioniert interaktiv und erfolgreich. „leidmedien.de“ befasst sich kritisch mit Sprachfiguren, in denen Menschen mit Behinderung Selbständigkeit abgesprochen wird, wie zum Beispiel „ist an den Rollstuhl gefesselt“ oder „leidet an einer Krankheit“. Als eine weitere Ebene seines Inputs thematisierte Andi Weiland Stereotype in der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung, die außerhalb des „Westens“ leben. Hier werde oft eine Art Freakshow inszeniert, die Menschen ausstellt und zur „Attraktion“ macht. Strukturelle Probleme wie etwa Zugänglichkeiten zu Bildung und Gebäuden kommen dabei nicht zur Sprache. Besonders im deutschsprachigen Raum und vor allem in Boulevardmedien werde jedenfalls weiterhin über Menschen mit Behinderung als „Superheld_in“ (vor allem, wenn es um Sportler_innen geht) oder „arme Person“ berichtet.

Im interaktiven Workshop Behindert & verrückt – unauffällig & angepasst: Party und Politik in gemischten Zusammenhängen?! von Antje Barten und Ly Antwerpen wurden die Teilnehmenden zunächst dazu aufgefordert, zu benennen, in welcher Form und bei welchen Zusammenschlüssen sie politisch aktiv seien. Daran anschließend berichteten die beiden Workshopleiterinnen über ihre eigene Arbeit in dem Bündnis, das sich zur Organisation der Disability & Mad Pride Parade zusammengefunden hatte. Was bedeutet es, „gemischt“ zusammenzuarbeiten, also ein Bündnis zwischen Menschen mit und ohne Behinderung einzugehen? Wie kommen hier eigene Vorstellungen von „Normalität“ ins Spiel, und wie kann es gehen, das eigene Verhalten produktiv zu reflektieren? Wie kann schließlich das Spannungsfeld zwischen einer de/konstruktivistischen Perspektive auf (privilegierte) Identitäten einerseits und der angemessenen Anerkennung der realen Wirkmächtigkeit dieser privilegierten Positionen andererseits gehandhabt werden? In Kleingruppen diskutierten die Teilnehmenden Betroffenheiten und Privilegien, stellvertretendes und Selbst-Sprechen, Sichtbarkeiten und Gleichberechtigungen in der politischen Arbeit.

Abends das Abschlussplenum: Die Möglichkeit zur gemeinsamen Reflexion der diskutierten Inhalte und des Verlaufs der Veranstaltung nutzten alle nur noch in offensichtlicher, wohl auch von Nachdenklichkeit durchzogener Müdigkeit. Allerdings, je später der Abend, desto frischer der Schwung, der wieder aufkam: Die Räume füllten sich für den Crip Dance Vol. II mit den DJ*anes weird beard und shushu.

Ausblick

Und was passiert danach? Wie geht es weiter, geht es miteinander weiter? Wir, die Verfasserinnen dieses Berichts, können an dieser Stelle nur unsere Neugier ausdrücken und versichern, dass wir gerne auf dem Laufenden bleiben würden, welche Ideen nun wie im Konkreten weiter verfolgt werden. Und etwas zu unseren eigenen Überlegungen sagen: Ich (Hanna Hacker) würde mir wünschen, dass der Austausch zwischen „akademisch gebundenen“ und weniger Uni-nahen Aktivist_innen sich fortsetzt und verfestigen kann. Nicht umsonst ist „Nachhaltigkeit“ ein wichtiges Stichwort in der Diskussion internationaler Politiken … Zumindest über die aus Anlass der Veranstaltung eingerichtete criptique-Website sollte dies möglich sein! Und ich wünsche mir zwei, drei, viele Nachfolgeveranstaltungen, von denen sich zumindest eine noch ein wenig vertiefter mit Aspekten globaler Politik, mit dem Problemfeld „Development“ und mit transnationalen, eurozentrismuskritischen Perspektiven auseinandersetzt.

Die Endredaktion des Berichts hat Hanna Hacker übernommen.

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Schrift:

Symposium "Criptique Crossing Boundaries: Be/Hinderung zwischen Aktivismus und Theorie"

Termin: 29. u. 30. Nov. 2013
Ort: Planet 10 (10., Pernerstorfergasse 12)

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